Inge (AT), 71, Psychologin, Grafenbach/Österr.

19.05.2020

"Die epigenetische Erinnerung wird ins kollektive Gedächtnis eingehen."

Ich war bei Freunden in Tirol eingeladen und fuhr am 8. März zurück nach Hause, mit Zwischenstopp bei Freunden in Wels. Da ich durch die Wetterbedingungen nicht zum Schifahren kam und ich dadurch wandern ging, war ich noch nicht belastet, aber auch nicht gänzlich sorglos. Es gab noch keine klaren Verhaltensregeln und Informationen, wie wir uns durch das Virus zu verhalten haben, das sich in anderen Ländern bereits stark verbreitet hatte und zu Todesfällen geführt hatte. Für mich war das alles noch eher vage.

Die Restaurants in dem Tiroler Ort waren zu Stoßzeiten überfüllt und so bevorzugte ich es selbst zu kochen, was im Nachhinein sich als richtig herausstellte. Das Landgasthaus, bei Wels, in dem ich auf meiner Rückfahrt einkehrte, war voll und ich war etwas verunsichert.

Am Donnerstag, dem 12. März 2020, entschied ich mich noch, zu einem Begräbnis einer Bergkameradin, nach Reichenau an der Rax zu fahren. Ich kam bewusst sehr spät in die Kirche, die Freundesschar saß dicht beieinander in den ersten Reihen. Ich gesellte mich bewusst nicht mehr dazu, da die Meldungen zu Vorsichtsmaßnahme intensiver wurden.

In der Kirche war anstelle des Weihwasserbeckens ein Desinfektionsmittel aufgestellt und man wurde angewiesen, sich zu desinfizieren. Mundschutz war weder Empfehlung noch Pflicht. Das kam erst etwas später. Eigentlich einen Tag danach, am 13. März, als der allgemeine "Shutdown" kam. Ich begleitete die Gruppe nicht mehr zu dem "Leichenschmaus" und fuhr nach Klosterneuburg zurück. Es erwies sich erst später, das Richtige getan zu haben, als Reichenau an der Rax sich als "Hotspot" von Niederösterreich herausstellte. Aus meiner Freundesgruppe war nachweislich eine Person dabei, die im Chor sang, in dem zwei weitere Personen bereits infiziert waren, wie sich später herausstellte.

Von den Entwicklungen war ich dann doch überrascht und besorgt, als das Ausmaß der Einschränkungen und die Gefahr, die von dem Virus ausging, über die Medien und die Regierung kommuniziert wurde.

Das Negativbeispiel war für mich Italien, noch weit mehr als China, da auch die Besorgnis mit der Nähe zur Gefahr zunimmt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass meine Tochter, mein Schwiegersohn und drei meiner Enkelkinder später 44 Tage in Barcelona in Quarantäne in ihrer Wohnung sitzen würden und keine Möglichkeit hatten, nur auf die Straße zu gehen. Das war mein persönlicher Schmerz der Corona Wochen

Es ist für mich schwierig ein Urteil darüber zu fällen, ob die Regierung richtig reagiert, bzw. gehandelt hat. Retrospektiv kann man leichter beurteilen. Die Regierung war erst kurz im Amt und die 100 Tage Schonzeit war nicht gegeben. Es mussten schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden ohne Wenn und Aber. Was ich äußerst positiv fand, dass man die sonst oft vernachlässigte Wissenschaft miteinbezog und nach ihren Vorschlägen urteilte. Der Gesundheitsminister mit seiner kompetenten und unaufgeregten Art hat mir besonders gut gefallen. Im Großen und Ganzen haben sie ihr bestens gegeben, waren voll im Einsatz und hatten große Verantwortung. Ich denke, dass die Regierung in ihrer Umsetzung und in der Art der Kommunikation richtig reagiert und richtig gehandelt hat.

Ich war in dieser Zeit froh, in Österreich zu sein, obwohl ich mich den kritischen Stimmen nicht verschloss. Ich denke, dass ich die ersten zwei Wochen nach dem "Shutdown" Furcht hatte, mich anzustecken und mich sehr isolierte. Das heißt, dass ich Abstand auch vor meinem Sohn hielt, der mir den Einkauf in die Tür stellte, anläutete und zwei Schritte von der Eingangstüre zurückwich. Das war der einzige Mensch, den ich gesehen hatte. Jedesmal waren im Einkauf auch Blumen für mich dabei, was mich besonders freute.

Ich ging trotz eingeschränkten Ausgehverbots täglich an die zwei Stunden vor 8Uhr in der Früh aus dem Haus. Die Straßen und Gässchen waren menschenleer und ich genoss die warmen Frühlingstage mit den Blumen in den Gärten und dem Vogelgezwitscher in den Bäumen. Ich hätte nicht gedacht, die Ruhe meiner Kindheit auf den Straßen noch einmal erleben zu dürfen. Der erste Weg führte mich zum Haus meines Sohnes, meiner Schwiegertochter und meinen beiden lieben Enkelkindern. Sie schliefen meist noch. Manchmal, wenn ich etwas später dran war und sie schon auf waren, spielten sie mir vom Fenster aus mir der Gitarre und der Flöte ein kleines Ständchen. Es war berührend!

Der wunde Punkt war meine Familie in Barcelona. Der letzte Gedanke beim Einschlafen und der erste Gedanke beim Aufwachen. Jedoch konnten wir telefonieren, ich bekam Videos über meine Enkelkinder und vor allem fand ich es schön, dass mein Enkelsohn mit seinen 9 Jahren jeden Abend und das für Wochen am Balkon die Europahymne auf der Trompete spielte. Ich hörte den Applaus und ich spürte die wehmütig schöne Atmosphäre.

Ich bekam wochenlang starke Rückenschmerzen, etwas was ich davor nicht kannte "ich hatte mein Kreuz zu tragen"! Zwei Tage nachdem meine Kinder und Enkelkinder in Barcelona auf die Straße durften, verabschiedeten sich die Schmerzen. Die Psyche lässt sich nicht austricksen, auch wenn ich tapfer sein wollte.

Ich für meine Person hatte es trotzdem weitaus besser, als viele andere Mitmenschen. Ich bekam meine monatliche Pension, ich wohne in einer grünen Wohngegend, bekam das Essen geliefert. Ich hatte keine Verpflichtungen, seien es kleine Kinder, keine Familienmitglieder, die zu umsorgen waren. Ich habe mich in der Corona Krise sogar frei gefühlt. Mit meinen Freunden hielt ich telefonisch Kontakt. Später ging ich dann jeweils mit einer anderen Person einen mir gut bekannten Waldweg. Wir achteten auf Abstand.

Ich gehe jetzt wieder selbst einkaufen und trage Mundschutz. In der Hauptstadt (Wien) war ich noch nicht. Ich vermisse die Opernaufführungen, die Theatervorstellungen, die Museumsbesuche. Ich war dankbar für die vielen Übertragungen im TV, von denen ich etliche gesehen und gehört habe. Sie ersetzen allerdings nicht das Flair, das Rundherum, das Raunen des Publikums, die Plausch in den Pausen an einem Opernabend in einem Opernhaus.

Ich weiß nicht, ob die Pandemie unsere Welt verändern wird, aber ich wünsche es meiner Nachwelt.

Die Menschen vergessen schnell das Negative und behalten das Positive. Das ist eine gute Einrichtung der Natur. Jeder Einzelne hat ein erstaunliches Kreativitätspotenzial, wenn er das Überleben gestalten muss.

Es kommt wahrscheinlich auch darauf an, wie schwer man von der Krise betroffen war und wie rasch man Maßnahmen, wie Impfung und Medikation dagegen entwickeln konnte.

Ob die Pandemie die Umwelteinstellung der Politiker zum Positiven verändern wird, kann ich mir schwer vorstellen. Zu sehr sind sie infiltriert vom Machtgefühl und vom Wettbewerbsdenken.

Epidemien gab es immer wieder. Sie fanden immer ihr Ende. Die schnelllebige Zeit wird auch diese Pandemie hinter sich lassen. Die epigenetische Erinnerung wird ins kollektive Gedächtnis eingehen.

I was visiting friends in the Tyrol and went home on March 8th with a stop-over in Wels to meet other friends. Due to the weather at the time I could not go skiing and went hiking instead, so I was not yet feeling burdened, but not entirely without worry either. As yet there had not been any clear rules of conduct and information how we should behave with regards to the virus that had already spread widely and caused fatalities in other countries. To me all that was quite remote back then.

The restaurants in the Tyrolean village where I stayed were overcrowded, so I preferred to stay home and cook myself - with hindsight that was the right decision. The country inn where I took a rest stop on my way back to Vienna, however, was also really crowded and I was feeling quite insecure about that.

Thursday, March 12th, I was attending the funeral of a hiking buddy in Reichenau an der Rax. I arrived deliberately late to church, where our friends were already sitting really close to one another in the front rows. Consciously I did not join them as there had already been more communications on security measures.

At church, instead of the usual stoup filled with holy water there was a bottle of disinfectant for the congregation - we were asked to disinfect our hands. At that point in time, masks were neither recommended nor obligatory. That only happened one day later, on March 13th, when the general "shutdown" came into effect. I did not join the funeral congregation for the funeral party and went back to Klosterneuburg. Later I learned that that had been the right thing to do, as Reichenau an der Rax turned out to be one of Lower Austria's Corona hotspots. Amongst my group of friends there was one person who sang in the choir where there had been two contagions.

Still, I was suprised by the developments - especially when the extent of restrictions and the danger that the virus poses were communicated via the media and our government.

The negative example in the crisis for me was Italy, so much more than China, as concerns also increase with the closeness to danger. At that time I did not know that my daughter, my son in law and three of my grandchildren would be stuck in their Barcelona home without being allowed to go out at all during the quarantine. That was my biggest personal agony in the Corona weeks.

For me it's difficult to render a judgement on our governments performance - if they reacted in the right way. In retrospective it is always easier to judge. The government had only been in power for a short time and had not even had their 100 days of "closed season". Serious decisions without ifs or buts had to be taken. What I found extremely positive was the fact that scientific experts were heard (which is not often the case). Our competent and unagitated minister of health left an especially good impression on me. On the whole they did their best - they had enormous responsibility. Overall, I think that the government reacted and communicated in the right way. I was glad to be in Austria, even though I was not deaf to critical voices.

I think that during the first two weeks after the "shutdown" I was afraid of an infection with the virus and isolated myself completely. That means that I also kept my distance from my son who left my weekly shop on my doorstep, rang the bell and stepped back from the door. He was the only person I saw at all. In every delivery he had included some flowers for me which made me especially happy.

Despite the limited restrictions on going out I went for a daily walk, before 8 am. The streets were void of people and I enjoyed the warm spring days, the flowers in the gardens and birdsong in the trees. I would have never thought that I would ever experience the calm streets of my childhood ever again. I always walked by my sons house. My son, daughter in law and two lovely grandchildren were still asleep most days - but sometimes, when I had left my house a bit later than usual, they were already up and serenaded me from their windows with the guitar or flute. It was really sweet and touching!

My sore spot was my family in Barcelona - my last thought before going to sleep and my first thought after waking up. We were talking on the phone and I received videos of my grandchildren. What I found especially lovely was that my 9-year-old grandson played the "Ode to Joy" on his trumpet every night on the balcony. In my thoughts I could hear the applause and feel the bittersweet atmosphere.

For weeks I had been suffering from severe back pain, which is something that I never had to endure before - "I had to carry my cross!" Two days after my children were allowed outside in Barcelona, my pain was gone. There is no way to trick one's psyche, even though I had wanted to be brave.

Still, I for myself had a more convenient situation than most. I received my monthly pension, I am living in a green neighbourhood, got my food and daily necessities delivered. I did not have any responsibilities, like small children or other family members to take care of. In fact, I felt free during the crisis! With my friends I talked on the phone. Later, I went for walks in the wood with a friend, but we respected the recommended physical distance at all times.

Now, I am back to doing my own grocery shopping - but I wear a mask. I have as yet not gone to Vienna, but I miss the opera, the theatre, the museums. I was thankful for all the cultural programmes on TV that I watched quite a lot. However, these are meagre alternatives for the flair of a night at the opera.

I don't know whether the pandemic will change our world - but I would really hope so.

People tend to forget the negative stuff really quickly and retain the positive aspects, which is a good invention of mother nature. Each and every one of us has huge creative potential when it comes to organizing our survival.

I think it depends primarily on how gravely one was affected by the crisis, and how fast measures such as vaccination and medication can be developed at all.

I cannot imagine, however, that the pandemic could alter politicians' approach to environmental issues - they are by far way too infiltrated by hunger for power and economic competitiveness.

Over human history, there have always been epidemics. They always came to an end. Our fast-lived era will succeed in leaving this epidemic behind, of this I am sure. But the epigenetic memories of this period will infiltrate our collective memory forever.