Rudolf (AT), Senior Scientist, 43, Barcelona/Spanien

16.05.2020

"Das Tempo, in dem sich das Leben auf der ganzen Welt verändert hat, ist für mich immer noch verblüffend."

Ich war im Februar beruflich sehr oft verreist und bekam dadurch die von Woche zu Woche steigenden Sicherheits- und Hygienevorkehrungen auf diversen Flughäfen hautnah mit. Ich selbst achtete dabei zwar auch mehr als normalerweise darauf, möglichst oft und v.a. ausgiebig die Hände zu waschen, war insgesamt aber nicht übermäßig beunruhigt über die Berichte aus China, zunehmend aus Italien und Meldungen von ersten Covid-Erkrankungen in Österreich, Deutschland und Spanien. Dass nicht einmal zwei Wochen nach der Rückkehr von meinem letzten Trip nach Deutschland über ganz Spanien eine strenge Ausgangssperre verhängt werden würde, hätte ich mir Anfang März beim besten Willen nicht vorstellen können.

Wie schnell sich die Lage in weiterer Folge tatsächlich zugespitzt hat, erscheint mir im Rückblick immer noch regelrecht absurd. Von einem Tag auf den anderen durften Fußballspiele nur noch hinter verschlossenen Türen durchgeführt werden (rückblickend eigentlich grotesk, dass diese überhaupt noch stattgefunden haben...), erste Gerüchte in Elternkreisen über eine baldige Schließung der Schule, ...und plötzlich wurde der Alarmzustand ausgerufen und das ganze Land stand still. Das Tempo, in dem das alles passiert ist, und sich das Leben auf der ganzen Welt verändert hat, ist für mich immer noch verblüffend.


Ich denke grundsätzlich, dass die Regierung in Spanien mit dem Ausrufen des Alarmzustands und der Verhängung der strikten Ausgangssperre anfangs sehr gut reagiert hat.

Heute, gut zwei Monate seit dem Start der Quarantäne, steigt jedoch von Tag zu Tag meine Unzufriedenheit über die zögerliche Strategie zur Öffnung des Landes. Ich finde, dass den indirekten, negativen Effekten der Corona-Krise, der psychische, soziale und wirtschaftliche Schaden, den der Lockdown anrichtet, in der politischen Diskussion hierzulande zu wenig Beachtung geschenkt wird. Als Vater von drei Kindern, die mittlerweile seit 65 Tagen "eingesperrt" sind, würde ich mir eine rasche Öffnung der Kindergärten und Schulen besonders wünschen.

Am schwierigsten fand und finde ich es, die richtige Balance zwischen Familie, Arbeit und Freizeit zu finden. Wir leben zu fünft in einer relativ kleinen Stadtwohnung, die, wenn alle zu Haus sind, kaum Rückzugsmöglichkeiten bietet, um ungestört zu arbeiten oder einfach mal allein sein zu können. Beispiel Homeschooling. Das funktioniert bei unseren beiden großen Kindern (11 und 9 Jahre) wirklich sehr gut und ich bin begeistert, wie schnell sich die Schule an die neue Situation angepasst hat. Doch der Betreuungsaufwand seitens der Eltern ist enorm: Arbeitsblätter ausdrucken, Hausübungen einscannen und an Lehrer schicken, den Überblick bewahren, wer wann einen Videocall hat, bei Computerproblemen zur Seite stehen... und dann unsere Jüngste, die mit ihren vier Jahren ganz andere Bedürfnisse hat und mittlerweile sehr darunter leidet, ihre Freundinnen und Freunde und Betreuer im Kindergarten schon so lange nicht mehr gesehen zu haben. In dieser Situation - also daneben - beruflich etwas weiterzubringen, ist eine Tour de Force.

Es sind zwei Erinnerungen, die sich mir ganz besonders eingeprägt haben: eine positive und eine traurige. Ich habe am achten Tag der Quarantäne die Wohnung zum ersten Mal verlassen, um Einkäufe im Supermarkt zu erledigen. Die apokalyptische Stimmung, die ich dabei erlebte, ging mir sehr unter die Haut. Auf den sonst so belebten Straßen war kein einziges Auto und nur eine Handvoll Menschen unterwegs. Und die, die ich sah, hielten einen riesigen Sicherheitsabstand voneinander, wirkten verunsichert und bedrückt. Als ich nach dem Einkauf nach Hause kam, war ich den Tränen nahe.

Demgegenüber werde ich mich immer gerne an unser tägliches Ritual während der Quarantäne erinnern: Jeden Abend um 20:00 Uhr waren wir und fast alle Nachbarn am Balkon, klatschten und zollten jenen Respekt, die das Land und die Gesellschaft mit unermesslichem Einsatz während der Krise am Laufen hielten. Es war eine wundervolle Geste des Mutzusprechens von einander eigentlich unbekannten Menschen, die durch ein außergewöhnliches Ereignis geeint wurden. Wenn mein Sohn dabei auf seiner Trompete die "Ode an die Freude" spielte und die vis-a-vis Nachbarn abschließend über ihren Verstärker "Volveremos a Brindar" von Lucia Gil in voller Lautstärke laufen ließen, war die Zuversicht, dass wir diese Krise überwinden werden, regelrecht greifbar.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat bereits Mitte März einen Aufsatz veröffentlicht, welche mittel- bis langfristigen Auswirkungen die Corona-Krise haben könnte ("Das ist ein historischer Moment"). Der optimistischen Grundhaltung dieses Artikels möchte ich mich gerne anschließen. In den letzten Wochen entstanden weltweit unzählige unternehmerische Initiativen in den und für die verschiedensten gesellschaftliche Bereiche, die dazu beigetragen haben, die Auswirkungen der Pandemie zu lindern und mithelfen, sie zu überwinden. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass wir mit den Erfahrungen aus dieser Krise nun auch die anderen großen Herausforderungen der Menschheit, insbesondere den Klimawandel, noch besser in Angriff nehmen können.

I was travelling for work quite a lot in February and noticed how security- and hygiene measures on airports were getting more and more strict every week. I for myself was taking more care than usual when washing hands, but overall I was not really worried about the reports from China and increasingly also from Italy. Also hearing about the first infections in Austria, Germany and Spain, did not worry me too much. That it would not even take a full two weeks between my return from my last work trip to Germany and a full lockdown in Spain, I would not have imagined in my wildest dreams.

With hindsight, I still cannot get my head around how fast everything spiralled downwards in those days. From one day to another, soccer games could only be carried out behind closed doors (in retrospective I have to say how grotesque that they would be carried out at all!). There were some rumours amongst the parents of my kids' school about possible school closures,... and then suddenly the state of alarm was announced and the whole country was in standstill. The speed in which all that was happening and life as we knew it changed completely is still stupefying to me.

Basically I think that the Spanish government reacted quite well at the beginning, calling out the state of alarm and imposing strict bans on going out. Today, a fair two months later, my dissatisfaction with the hesitant strategy about de-escalation is growing by the day. I think that the indirect negative effects of the Corona-crisis, namely the mental, social and economic damage effected by the lockdown, are widely neglected in the political discourse. As a dad of three children who have been "incarcerated" for 65 days as per today, I would really wish for a swift opening up of kindergardens and schools.

What I found (and still find) most challenging about the quarantine is finding the right balance between family, work and free time. There's five of us living in a tiny downtown apartment that does not offer any privacy in order to be able to work undisturbed or just be alone for a bit. As to the homeschooling: Yes, it does work quite well with our two older children (11 and 9 yo) and I am really content with the school's swift reaction to new situation. But still, the time and effort required on the parents' side is enormous: printing material, scanning homework, sending it out to teachers, remaining on top of everyone's calendars when it comes to videocalls etc. Then there is our little one (4 yo), who misses her friends from kindergarden extremely. Achieving some work next to all this is a tour de force.

There are two memories that will really stick with me: A positive and a negative one. On the 8th day of the quarantine I left the apartment for the first time to do some grocery shopping. The apocalyptic atmosphere I experienced touched me deeply. In the streets that are normally so lively there were hardly any people about. Those who were, were really trying to keep their distance from everybody else, seemed depressed and insecure. When I came home that day, I was close to tears.

In contrast to that I will always happily remember our daily ritual during the quarantine: every night at 8pm everybody would gather outside on their balconies, applauding and showing their respect to those who kept the country and society up and running during this crisis. It was a wonderful gesture of reassuring one another -- between people who did not really know each other but were bound together by such an unprecedented event. When my son played the "Ode to Joy" on his trumpet, and our neighbours would play "Volveremos a brindar" by Lucia Gil on full volume over their speakers, the air was brimming with confidence that we would all overcome this together.

Mid March, the futurologist Matthias Horx published an essay about the mid- to longterm consequences the Corona-crisis could have ("a historical moment"). I would like to join this optimistic sentiment. Over the last few weeks, so many entrepreneurial initiatives have been developed all over the world aimed at helping to reduce the consequences of the pandemic. Therefore I am optimistic that, with the learnings we derive from this crisis, we will be able to better tackle other challenges humanity faces, such as climate change.